State Of Fear -- Wallow in Squalor 7"

Wenn man sich mit einem Menschen unterhält, der einen Straight-Edge-Blog betreibt und ihn nach seiner Lieblings-7"-Single fragt, dann macht man sich innerlich natürlich auf irgendeine Bollokapelle mit prepubertären Schwachsinnslyrics über Backstabbing und Staying True gefasst. Umso schöner die Überraschung, dass Gerald von Cologne Straight Edge in dieser Hinsicht etwas aus der Art geschlagen zu sein scheint und musikalisch sehr viel breiter aufgestellt ist als die meisten SE-Kids heutzutage. Bester Beleg: das Anfang dieses Jahres erschienene Interview mit KREATOR.
Wallow In Squalor von STATE OF FEAR ist als Antwort auf die Frage nach der Lieblings-7" definitiv eine Ansage, nicht nur für ein Straight-Edge-Kid ...

Wann hast du die State Of Fear 7" in die Hände bekommen? Und wie kam es dazu? Tipp, Blindkauf, Geschenk, Tausch?
Also, erhalten habe ich diese 7" ca. im Jahr 2000, meine ich. Ich spielte damals mehr schlecht als recht Gitarre in einer Crust/Grind-Band namens UNPURE TO CHRIST, und mein damaliger Bandkollege betrieb nebenher einen kleinen Distro, und hat mir ein paar Sachen verkauft, darunter auch Platten von UNHINGED, HIATUS, DROPDEAD und EXTINCTION OF MANKIND.


Okay, und was hat diese Single so besonders für dich gemacht?
Also, zum einen viele Erinnerungen an alte Zeiten, ich habe diese Single auch gerade damals relativ oft gehört. Zum anderen die enorme Durchschlagskraft der Musik, gepaart mit prägnanten, plakativen Songtiteln wie der Eröffnungstrack "Bloodthirsty System". Der gehört meiner Meinung nach noch immer mit zum Besten, was diese Art von Musik betrifft. Auch das Cover ist natürlich sehr krass ausgefallen -- vorn das verhungernde Kind, im Hintergrund wartet schon der Aasgeier. An sich finde ich solche Schockbilder gut, um Menschen auf bestimmte Themen und Missstände aufmerksam zu machen. Andererseits finde ich mittlerweile die ganzen Kriegs- und Leichenbilder auf vielen Crust-Covern manchmal nur noch blöd, besonders, wenn dann dazu die üblichen Texte kommen, wie grausam die Menschen im Krieg sterben und so weiter. Da habe ich zuweilen schon den Eindruck, dass dieses Leiden einfach nur für die eigene Musik und die Texte und das Artwork benutzt wird. Inhaltlich werden da ja keine neuen Aspekte befördert, wobei das vielleicht auch nicht die Aufgabe von Punk- und Hardcore-Bands ist. Wer das will, sollte wohl eher Bücher zum Thema lesen. Bei Discharge war das neu und richtig, bei den unzähligen Epigonen finde ich es mittlerweile nur noch öde. Zumal Krieg, zumindest offiziell, heute sowieso jeder scheiße findet, von links bis rechts-konservativ. Ich glaube, selbst die NPD wollte sich mal als Friedenspartei anbiedern. Vor 100 Jahren zum Beispiel galt der Krieg ja noch als heroische Willenserprobung für Männer -- frei nach dem Motto: Erst im Kampf wird der männliche Mensch zum Mann. Ich glaube, Ernst Jünger und ähnliche Spezis haben damals solche Scheiße propagiert. Und natürlich gibt es immer noch bzw. gerade wieder viel zu viel Krieg und Krisenherde auf der Welt. "War is big business", wie DOOM einst texteten, stimmt immer noch und heute wahrscheinlich stärker denn je. Daran werden aber krasse Bilder auf Crust-Covern auch nichts ändern.

Wie stehst du heute zu der Wallow in Squalor 7"? Legst du dir das noch manchmal auf? Ist das musikalisch noch deine Baustelle oder hörst du jetzt eher andere Sachen?
Ab und zu höre ich die noch, allerdings nicht die 7", sondern die -- ich glaube nach Auflösung der Band veröffentlichte -- Discography-LP. Nach wie vor finde ich die auf der Single enthaltenen Stücke sehr stark, sie haben also den "test of time" für mich bestanden.



Was ist aus der Band geworden?
Sie hat sich aufgelöst, ich hab nochmal recherchiert, das war wohl 2001. Die Quasi-Vorgängerband von STATE OF FEAR war aber DISRUPT -- eine der besten Bands, was die Verbindung von politischen Grindcore mit Crust betrifft --, die leider erst nach ihrer Auflösung die verdiente Aufmerksamkeit erhielten. Vor einigen Jahren erschien auch eine komplette 3-CD-Discography mit DVD namens "Disrupt Dead". Danach waren einige Mitglieder noch in CONSUME, ebenfalls Crustcore, tätig, und heute spielen einige wohl in DEATHRAID, was musikalisch ebenfalls in diese Richtung geht. Bei der Sludge-Band GRIEF spielten wohl auch einige Mitglieder.

Du machst ja jetzt diesen Blog COLOGNE STRAIGHT EDGE. Wie bist du zu Straight Edge gekommen? Was ist deine "Mission" mit diesem Blog?
Puh, schwierige Frage. Also, erstmal muss ich sagen, dass mir natürlich Straight Edge schon wichtig ist, ich da aber null dogmatisch bin. Ich hab da ja auch Bands wie POISON IDEA (quasi die Antithese zu Straight Edge) oder EXTREME NOISE TERROR gefeaturet. Letztendlich musste halt auch ein Name her, und ich behandel ja auch viele Themen aus dem Bereich und stelle dementsprechende Bands vor. Die meisten meiner Freunde und Bekannte sind nicht Straight Edge und trinken ab und zu Alkohol oder rauchen, was kein Problem für mich ist. Was mich nur nervt, ist, wenn Leute (die man vorher nicht kannte), einen unbedingt zum Alkoholkonsum bringen wollen, und man quasi als Spassbremse gilt, wenn man das nicht macht. Manche fühlen sich regelrecht provoziert, wenn man auf Nachfrage (von mir aus erzähle ich das nicht, ist ja auch nicht so super interessant) erklärt, dass man grundsätzlich keinen Alkohol trinkt. Vor Kurzem postete irgendjemand auch als Kommentar bei Facebook Sachen wie "Straight-Edge-Faschos" und ähnliches. Mehr muss man dazu glaube ich nicht sagen ...
Eine "Mission" habe ich nicht, würde ich sagen. Gute Musik unter die Menschen zu bringen, und vielleicht den einen oder anderen zum Nachdenken über seine Konsumgewohnheiten zu bringen, das reicht mir schon. Und: interessante Menschen, Bands und Projekte zu finden und zu treffen ist ein wesentlicher Anreiz. Meist natürlich nur virtuell, im näheren Umkreis aber auch im sogenannten "real life".

Danke für das Gespräch, Gerald, und weiter so mit dem Blog!

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State Of Fear -- Wallow in Squalor 7" (Profane Existence), 1995